Stressbewältigung – Wie wir wieder zur Ruhe finden

Stress gehört zu unserem Leben – er ist Teil unserer biologischen Ausstattung, hilft uns, auf Herausforderungen zu reagieren, Entscheidungen zu treffen und kurzfristig Leistung zu bringen. Problematisch wird Stress jedoch dann, wenn er chronisch wird und unser Körper kein Signal mehr bekommt, wieder in den Ruhezustand zurückzukehren.

Viele Menschen spüren, dass „etwas nicht stimmt“ – sie sind ständig angespannt, schlafen schlecht, reagieren gereizt, können sich schwer konzentrieren oder fühlen sich innerlich leer. Was sie erleben, sind nicht selten die Folgen von anhaltendem Stress, der körperlich und seelisch wirkt.

Was ist Stress?

Medizinisch betrachtet ist Stress ein komplexes Zusammenspiel von neuroendokrinen, autonomen und psychologischen Reaktionen, die auf eine als bedeutsam oder bedrohlich erlebte Anforderung folgen. Zentral beteiligt ist die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse), über die Cortisol ausgeschüttet wird – ein Hormon, das kurzfristig mobilisiert, aber langfristig belastet, wenn es dauerhaft erhöht ist.

In der klinischen Praxis unterscheiden wir häufig zwischen:

  • Akutem Stress (z. B. bei einem Konfliktgespräch oder Unfall)
  • Chronischem Stress (z. B. durch Überlastung, ständige Erreichbarkeit, ungelöste Konflikte)

Wie wirkt sich chronischer Stress aus?

Langfristig kann Stress alle Systeme des Körpers beeinträchtigen. Typische Folgen sind:

  • Erschöpfung, Schlafstörungen, emotionale Reizbarkeit
  • Kopfschmerzen, Muskelverspannungen, Rückenschmerzen
  • Magen-Darm-Beschwerden, Reizdarmsyndrom
  • Konzentrationsprobleme und Gedächtnislücken
  • Blutdruckerhöhung, erhöhter Blutzucker, Infektanfälligkeit
  • Verstärkung bestehender psychischer Erkrankungen (z. B. Angststörungen, Depression)

Beispiel:

Eine Lehrerin berichtet, dass sie sich ständig gehetzt fühlt – auch abends und am Wochenende. Sie schläft schlecht, isst unregelmäßig und bekommt zunehmend Verdauungsprobleme. Als sie in den Ferien „endlich Zeit“ hat, entwickelt sie grippeähnliche Symptome – ein typischer „Erholungscrash“, wie er bei chronischer Stressbelastung häufig vorkommt.

Wie entsteht Stress?

Stress entsteht nicht nur durch äußere Umstände, sondern vor allem durch die Bewertung einer Situation. Zwei Menschen können auf denselben Reiz völlig unterschiedlich reagieren – abhängig von ihren inneren Überzeugungen, biografischen Erfahrungen und aktuellen Ressourcen.

Die Stressreaktion lässt sich als Zusammenspiel von Stressorenindividueller Bewertung und Verfügbarkeit von Bewältigungsstrategien beschreiben.

Beispiel:

Ein Patient mit Perfektionismus erlebt jede kleine Rückmeldung als Kritik – sein inneres Bewertungssystem steht unter Daueranspannung. Eine Kollegin mit mehr Selbstmitgefühl empfindet dieselbe Situation als anregend und wachstumsfördernd.

Wege zur Stressbewältigung

Stress lässt sich nicht immer vermeiden – wohl aber besser regulieren. Ziel ist es, den Körper wieder aus der chronischen Alarmbereitschaft zurück in einen Zustand der Ruhe und Erholung zu führen.

 1. Körperzentrierte Methoden

  • Atemübungen (z. B. 4-7-8-Technik, verlängertes Ausatmen)
  • Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
  • Yoga und achtsamkeitsbasierte Bewegung
  • Wechselatmung zur Vagus-Aktivierung

Beispiel:

Eine Klientin lernt, vor jedem Meeting bewusst für zwei Minuten ihre Atmung zu vertiefen. Allein das verlängerte Ausatmen hilft ihr, körperlich ruhiger und gedanklich klarer zu werden.

2. Mentale Strategien

  • Kognitive Umstrukturierung: Stressauslösende Gedanken hinterfragen („Muss ich wirklich alles perfekt machen?“)
  • Realistische Zielsetzung und Priorisierung
  • Selbstmitgefühl statt Selbstkritik
  • Tagebuch oder Gedankenprotokolle

Beispiel:

Ein junger Mann schreibt jeden Abend drei Dinge auf, die ihm gelungen sind – statt wie gewohnt die Fehler des Tages zu analysieren. Nach zwei Wochen berichten er und seine Partnerin über eine spürbare Stimmungsverbesserung.

3. Soziale und emotionale Ressourcen aktivieren

  • Gespräche mit vertrauten Personen
  • Begrenzung toxischer Einflüsse (z. B. digitale Reizüberflutung)
  • Eigene Bedürfnisse ernst nehmen
  • Entgrenzung vermeiden: „Nein sagen“ als Selbstschutz

4. Alltagsgestaltung bewusst verändern

  • Mikropausen einführen: Mehrmals täglich 1–2 Minuten bewusstes Innehalten
  • Rhythmisierung von Aktivität und Ruhe
  • Technikfreie Zeiten am Abend
  • Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus

Beispiel:

Ein Klient integriert nach einem stressbedingten Hörsturz drei feste Ruherituale pro Tag. Eine davon ist das stille Sitzen mit einer Tasse Tee. Seine Herzfrequenzvariabilität verbessert sich nachweislich innerhalb von drei Wochen.

Wann professionelle Hilfe notwendig wird

Wenn Stress nicht mehr bewältigbar erscheint, die Lebensqualität massiv leidet oder körperliche Erkrankungen auftreten, sollte ärztlicher oder psychotherapeutischer Rat eingeholt werden. In der Praxis arbeiten wir häufig mit:

  • Psychoedukation zur Stressbiologie
  • Achtsamkeitsbasierter Stressreduktion (MBSR) nach Jon Kabat-Zinn
  • Verhaltenstherapie, insbesondere zur Reiz- und Bewertungsmodifikation
  • Personzentrierter Psychotherapie zur Wiederherstellung innerer Stimmigkeit
  • In Einzelfällen: medikamentöse Unterstützung (z. B. bei Erschöpfungsdepression)

Fazit

Stress ist nicht nur eine Begleiterscheinung moderner Lebensführung – er ist ein relevanter Risikofaktor für viele psychische und körperliche Erkrankungen. Ihn zu erkennen, ernst zu nehmen und wirksam zu regulieren, ist kein Luxus, sondern ein Akt der Selbstfürsorge und Gesundheitserhaltung.

Dieser Blog soll Sie dabei unterstützen, Ihre eigenen Stressmuster zu verstehen – und Wege zu entdecken, wie Sie sich selbst wieder regulieren und stärken können.