Sexuelle Nebenwirkungen bei Psychopharmaka – Ein oft verschwiegenes, aber behandelbares Problem

Antidepressiva (SSRI, SSNRI etc). werden bei der Therapie von Angststörungen eingesetzt und können eine Vielzahl von sexuellen Nebenwirkungen verursachen, die sowohl bei Männern als auch bei Frauen auftreten können. Einige der häufigsten sexuellen Nebenwirkungen von Antidepressiva sind:

  • Libidoverlust: Viele Menschen, die Antidepressiva einnehmen, berichten, dass sie eine Verminderung ihrer sexuellen Lust erleben. Dies kann dazu führen, dass sie weniger an Sex denken und weniger sexuell aktiv sind.
  • Erektionsstörungen bei Männern: Einige Antidepressiva können dazu führen, dass Männer Schwierigkeiten haben, eine Erektion zu bekommen oder aufrechtzuerhalten. Dies kann die Fähigkeit beeinträchtigen, einen Orgasmus zu erreichen.
  • Orgasmusstörungen: Einige Menschen, die Antidepressiva einnehmen, berichten, dass sie Schwierigkeiten haben, einen Orgasmus zu erreichen oder dass ihre Orgasmen weniger intensiv sind als zuvor.
  • Feuchtigkeitsverlust bei Frauen: Einige Antidepressiva können dazu führen, dass Frauen weniger Feuchtigkeit in der Vagina produzieren, was das Einführen von Geschlechtsverkehr oder das Tragen von Kondomen schmerzhaft machen kann.
  • Verzögerte Ejakulation: Einige Antidepressiva können dazu führen, dass Männer länger als üblich brauchen, um ejakulieren zu können.
  • Veränderungen im Hormonhaushalt: Einige Antidepressiva können dazu führen, dass die Hormonproduktion des Körpers beeinträchtigt wird, was zu Veränderungen in der Menstruationsperiode, der Libido und anderen hormonbedingten Symptomen führen kann.

Psychopharmaka haben in der modernen Medizin vieles verändert. Sie helfen Menschen mit Depressionen, Angststörungen, Psychosen oder bipolaren Erkrankungen dabei, emotionale Stabilität zurückzugewinnen, ihren Alltag zu bewältigen und schwere Krankheitsverläufe zu mildern. Doch neben ihrer oft lebensverändernden Wirksamkeit können sie auch Nebenwirkungen haben, die tief in das persönliche Erleben eingreifen – insbesondere in die Sexualität. Und gerade diese Nebenwirkungen bleiben häufig unausgesprochen.

Viele Betroffene berichten im therapeutischen Setting nur zögerlich von sexuellen Veränderungen, etwa einem Verlust des Verlangens, Schwierigkeiten bei der Erregung oder ausbleibendem Orgasmus. Für manche fühlt es sich so an, als würde der Körper auf „emotionalen Standby“ geschaltet: Die Stimmung stabilisiert sich zwar, aber Freude, Begehren und Lustempfinden verschwinden im Hintergrund. Nicht selten entsteht daraus Frustration, Scham oder der Impuls, die Medikamente eigenmächtig abzusetzen – mit allen Risiken, die ein plötzlicher Therapieabbruch mit sich bringt.

Dass Psychopharmaka die Sexualfunktion beeinflussen können, ist kein Zeichen persönlicher Empfindlichkeit, sondern eine gut erforschte und erklärbare pharmakologische Realität. Wer versteht, warum diese Nebenwirkungen auftreten, kann gemeinsam mit Ärzt:innen und Therapeut:innen Strategien entwickeln, um Lebensqualität und Therapieerfolg in Einklang zu bringen.

Warum wirkt sich ein Medikament auf die Sexualität aus?

Sexualität ist keine isolierte Funktion des Körpers. Sie ist ein komplexes Zusammenspiel aus neuronaler Aktivität, Hormonen, Gefühlen, Erinnerungen, Beziehungsdynamiken und körperlicher Regulation. Viele dieser Prozesse greifen Psychopharmaka gezielt an – allerdings nicht immer selektiv.

Insbesondere jene Medikamente, die auf das serotonerge, dopaminerge und noradrenerge System wirken, beeinflussen zentrale Steuermechanismen für sexuelle Lust, Erregung und Orgasmus. Was also einerseits zur Linderung psychischer Symptome beiträgt, kann andererseits ungewollt die sexuelle Erlebnisfähigkeit verändern.

Was konkret passiert im Gehirn?

Ein zentrales Element ist der Neurotransmitter Serotonin. Er wird bei vielen Antidepressiva – insbesondere den sogenannten SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) – in seiner Verfügbarkeit erhöht. Serotonin wirkt stimmungsaufhellend und angstdämpfend, es stabilisiert die Impulsregulation und verringert emotionale Schwankungen. Doch genau diese beruhigende Wirkung betrifft auch die sexuelle Erregbarkeit. Serotonin hat im zentralen Nervensystem eine inhibitorische Wirkung auf sexuelle Prozesse: Es senkt das Verlangen, dämpft die Erregungsfähigkeit und hemmt den Orgasmusreflex.

Ein zweiter wichtiger Neurotransmitter ist Dopamin, das stark mit Motivation, Belohnung, Lust und sexueller Erregung verbunden ist. Medikamente, die Dopamin blockieren – wie viele klassische Antipsychotika – reduzieren nicht nur Wahn oder Erregung, sondern oft auch das sexuelle Interesse. Der Körper reagiert weniger auf Reize, das Belohnungssystem bleibt stumm. Auch Medikamente mit starker Wirkung auf das Hormon Prolaktin, das bei Dopaminmangel vermehrt ausgeschüttet wird, wirken zusätzlich hemmend auf Libido und sexuelle Funktion.

Das noradrenerge System spielt ebenfalls eine Rolle, vor allem im Bereich der Erregung und genitalen Durchblutung. Medikamente, die den Noradrenalinspiegel erhöhen – etwa bestimmte SNRI – wirken häufig etwas neutraler oder sogar förderlicher auf die Sexualfunktion als rein serotonerge Präparate. Dennoch bleibt das Gesamtbild individuell sehr unterschiedlich.

Wie äußern sich sexuelle Nebenwirkungen konkret?

Viele Betroffene berichten, dass sie sich zwar emotional stabiler fühlen, aber zugleich eine Entfremdung vom eigenen Körper erleben. Das sexuelle Verlangen kann reduziert oder ganz verschwunden sein – selbst in stabilen Partnerschaften. Frauen schildern häufig mangelnde Erregbarkeit, trockene Schleimhäute oder ausbleibenden Orgasmus, während Männer über verzögerte Ejakulation, Erektionsprobleme oder reduzierte Empfindung sprechen. Manche beschreiben es als eine Art Gefühlsdämpfung, die nicht nur das sexuelle, sondern auch das emotionale Erleben insgesamt betrifft.

Diese Nebenwirkungen treten nicht bei allen Patient:innen auf, sind aber dennoch häufig. Je nach Wirkstoffgruppe und Dosierung berichten 30–70 % der Behandelten über zumindest eine Form sexueller Funktionsveränderung. Besonders betroffen sind SSRIs wie Sertralin, Citalopram, Paroxetin oder Escitalopram. Vergleichsweise seltener treten solche Effekte bei Wirkstoffen wie Bupropion oder Mirtazapin auf – diese werden in manchen Fällen sogar gezielt eingesetzt, um bestehende Nebenwirkungen abzufangen.

Warum ist dieses Thema oft ein Tabu?

Sexualität ist ein intimes Thema – nicht nur für Patient:innen, sondern auch für manche Behandler:innen. Viele Menschen schämen sich, über Libidoverlust oder Erektionsprobleme zu sprechen, besonders wenn sie gerade erst beginnen, sich therapeutisch zu öffnen. Manche erleben es als Undankbarkeit, wenn sie sich über sexuelle Einbußen beklagen, obwohl das Medikament ihre psychische Stabilität verbessert hat. Andere resignieren still, weil sie glauben, dass man an der Situation ohnehin nichts ändern könne.

Dabei gehört die offene Ansprache sexueller Nebenwirkungen zu einer verantwortungsvollen Therapie – sowohl seitens der Behandler:innen als auch der Patient:innen. Denn sexuelle Lebensqualität ist ein wesentlicher Bestandteil von Selbstwert, Partnerschaft, Intimität und körperlichem Wohlbefinden. Wer dauerhaft unter derartigen Einschränkungen leidet, gefährdet nicht nur seine Beziehung, sondern unter Umständen auch die Medikamentenadhärenz und damit den gesamten Therapieerfolg.

Was kann man tun?

Zunächst: Sexuelle Nebenwirkungen müssen nicht einfach hingenommen werden. Es gibt heute eine Vielzahl an Möglichkeiten, individuell auf diese Problematik zu reagieren – ohne die zugrundeliegende Erkrankung zu vernachlässigen.

In vielen Fällen kann bereits ein Wirkstoffwechsel helfen. Der Umstieg von einem SSRI auf ein Präparat mit anderer neurobiologischer Wirkung – etwa Bupropion, ein Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer – kann die Symptome deutlich lindern. Auch die Kombination von Medikamenten, etwa durch Zusatzgabe eines sexuell aktivierenden Präparats, kann eine sinnvolle Strategie sein. Ebenso kann eine Dosisreduktion, sofern die psychische Stabilität dies erlaubt, hilfreich sein.

Manche Patient:innen profitieren von einer engmaschig begleiteten Therapiestrategie mit gezielten Einnahmepausen (sogenannten „Drug Holidays“) bei bestimmten Medikamenten mit kurzer Halbwertszeit. Diese Vorgehensweise ist allerdings heikel und sollte ausschließlich unter fachärztlicher Anleitung erfolgen.

Nicht zu unterschätzen ist der Wert einer begleitenden psychotherapeutischen Unterstützung: Sexualität ist mehr als ein hormonelles Geschehen. Sie ist auch Ausdruck von Selbstbild, Körpergefühl, Beziehungsdynamik und innerem Erleben. In der Therapie kann Raum entstehen, über veränderte Wünsche, Ängste oder Konflikte zu sprechen – und neue Wege zu entdecken, Intimität zu gestalten.

Reden hilft – auch über das, worüber man ungern spricht

Sexuelle Nebenwirkungen in der Psychopharmakotherapie sind real, häufig – und behandelbar. Sie sind kein Zeichen von Schwäche und kein Preis, den man stillschweigend zahlen muss. Wer die eigene Sexualität ernst nimmt und sie in die therapeutische Arbeit integriert, stärkt nicht nur die Beziehung zum eigenen Körper, sondern oft auch die therapeutische Allianz.

Der wichtigste Schritt ist, das Schweigen zu brechen. In der professionellen Beziehung darf alles Platz haben – auch das, was mit Scham, Unsicherheit oder Verletzlichkeit behaftet ist. Denn echte Heilung umfasst nicht nur die Linderung der Symptome, sondern auch die Rückgewinnung von Lebensfreude, Intimität und Selbstverbindung.

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