Angststörungen – Wenn Sorgen zum Leiden werden

Angst gehört zum Leben. Sie ist ein evolutionär verankerter Mechanismus, der uns vor Gefahren schützt. Doch was, wenn die Angst bleibt – auch wenn keine reale Bedrohung mehr da ist? Was, wenn sie sich verselbständigt, den Alltag durchdringt und das Leben zunehmend einschränkt?

Dann sprechen wir von einer Angststörung – einer psychischen Erkrankung, die sehr häufig auftritt, aber oft lange unerkannt bleibt.

Was ist eine Angststörung?

Eine Angststörung liegt vor, wenn übermäßige Angst oder Furchtreaktionen auftreten, die in Dauer, Intensität oder Häufigkeit nicht mehr im Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung stehen. Die Angst wird nicht mehr als hilfreich erlebt, sondern als überwältigend – sie beeinträchtigt das Denken, das Handeln und oft auch das körperliche Wohlbefinden.

Viele Betroffene wissen lange Zeit nicht, dass ihre Symptome eine medizinisch behandelbare Ursache haben. Sie erleben sich als überempfindlich, instabil oder „nicht belastbar“ – und schämen sich dafür. In Wahrheit handelt es sich jedoch um klar definierbare Krankheitsbilder, die gut behandelbar sind.

Die häufigsten Formen von Angststörungen

Generalisierte Angststörung (GAS)

Menschen mit GAS leiden unter anhaltenden, übertriebenen Sorgen zu vielen Lebensbereichen – etwa Gesundheit, Arbeit, finanzielle Sicherheit oder das Wohl ihrer Familie. Die Sorgen sind nicht kontrollierbar und gehen oft mit körperlichen Symptomen einher: Muskelverspannungen, Reizdarm, Schlafstörungen, Herzrasen.

Beispiel:

Eine Mutter sorgt sich ständig, ihr Kind könne einen Unfall haben – obwohl es objektiv sicher betreut ist. Ihre Gedanken kreisen, sie kann nicht abschalten, leidet unter Schlaflosigkeit und zunehmender Erschöpfung.

Panikstörung

Hier stehen wiederkehrende Panikattacken im Vordergrund – plötzlich auftretende Episoden intensiver Angst, begleitet von körperlichen Symptomen wie Atemnot, Herzklopfen, Schwindel, Hitzewallungen oder dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.

Die Attacken treten scheinbar „aus dem Nichts“ auf. Aus Angst vor weiteren Attacken entwickeln viele Betroffene ein Vermeidungsverhalten – etwa meiden sie öffentliche Orte oder Menschenmengen.

Beispiel:

Ein junger Mann erlebt beim Autofahren plötzlich eine massive Angstwelle – das Herz rast, die Sicht verschwimmt. Fortan vermeidet er es, allein zu fahren, aus Angst vor Kontrollverlust.

Soziale Angststörung

Diese Form der Angststörung äußert sich als intensive Furcht vor negativer Bewertung durch andere. Bereits alltägliche Situationen – ein Meeting, ein Smalltalk, das Halten eines Vortrags – können zu massivem Stress führen. Oft vermeiden Betroffene solche Situationen komplett.

Beispiel:

Eine Studentin bricht das Studium ab, weil sie es nicht mehr erträgt, in Seminaren zu sprechen oder gesehen zu werden. Sie vermeidet alle sozialen Kontakte außerhalb ihrer Familie.

Spezifische Phobien

Hier geht es um übertriebene Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen – etwa vor Tieren (Hunde, Spinnen), Höhen, Blut, engen Räumen oder dem Fliegen. Die Konfrontation mit dem Auslöser führt sofort zu körperlicher Panik.

Beispiel:

Ein Mann hat so große Angst vor dem Zahnarzt, dass er jahrelang keine Praxis betritt – obwohl er starke Zahnschmerzen hat.

Zwangsstörung (OCD)

Zwangsstörungen gelten zwar formal als eigene Diagnosegruppe, überschneiden sich jedoch häufig mit Angststörungen. Typisch sind Zwangsgedanken (z. B. Angst, jemandem zu schaden) und Zwangshandlungen (z. B. ständiges Kontrollieren oder Waschen), die zur kurzfristigen Beruhigung führen – langfristig aber die Angst verstärken.

Ursachen und Entstehung

Angststörungen entstehen durch ein Zusammenspiel aus genetischer Veranlagung, neurobiologischen Faktoren, biografischen Erfahrungen und aktuellen Belastungen. Häufige Risikofaktoren sind:

  • familiäre Häufung
  • frühe Bindungsunsicherheit
  • Traumatisierungen
  • chronischer Stress oder Überlastung
  • dysfunktionale Denk- und Bewertungsmuster

Neurobiologisch zeigt sich häufig eine Überaktivierung der Amygdala (Mandelkern), einer Hirnregion, die für Angstverarbeitung zuständig ist, sowie eine gestörte Regulation durch präfrontale Kontrollstrukturen.

Behandlungsmöglichkeiten

Angststörungen sind sehr gut behandelbar – mit einer Kombination aus psychotherapeutischen und gegebenenfalls medikamentösen Verfahren.

  • Die kognitive Verhaltenstherapie (CBT) gilt als Goldstandard. Sie hilft, angstauslösende Gedanken zu erkennen, zu hinterfragen und durch realitätsgerechtere Bewertungen zu ersetzen.
  • In der personzentrierten Psychotherapie steht das verstehende Gegenüber im Zentrum. Durch einfühlsame Begleitung und emotionale Verarbeitung wird innere Sicherheit aufgebaut.
  • Expositionstrainings (z. B. bei Phobien oder Panikstörung) helfen, Vermeidungsverhalten zu durchbrechen und neue Lernerfahrungen zu ermöglichen.
  • Bei schweren Verläufen kommen medikamentöse Behandlungen mit SSRI (z. B. Sertralin, Escitalopram) infrage – meist zeitlich begrenzt und begleitend zur Psychotherapie.

Was Sie selbst tun können

Wenn Sie sich in den Beschreibungen wiedererkennen, ist der erste Schritt: Nehmen Sie sich ernst. Angst ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Hinweis, dass etwas in Ihrem Leben Aufmerksamkeit braucht.

  • Sprechen Sie mit einer Fachperson
  • Erlauben Sie sich Verständnis statt Selbstverurteilung
  • Beginnen Sie, sich mit dem Thema zu beschäftigen – dieser Blog kann ein erster Anker sein