Angststörungen in der Schwangerschaft – Wenn Sorge über das Maß hinauswächst

Die Schwangerschaft gilt gemeinhin als Zeit der Hoffnung, der Vorfreude und der inneren Wandlung. Doch für viele Frauen ist sie auch eine Phase großer Verunsicherung. Der Körper verändert sich, das Leben nimmt eine neue Richtung, die Zukunft wird offen – und nicht selten beginnt die Seele zu zittern. Ängste in der Schwangerschaft sind kein seltenes Phänomen. Doch wenn aus Sorgen ständige Unruhe, aus Grübeleien lähmende Gedankenketten und aus Anspannung körperliche Symptome werden, kann es sich um eine behandlungsbedürftige Angststörung handeln.

Trotz ihrer Häufigkeit bleiben Angststörungen in der Schwangerschaft oft unerkannt – oder werden bagatellisiert. Viele Betroffene schämen sich, weil sie denken, sie müssten doch „glücklich sein“. Sie ziehen sich zurück, spielen die Symptome herunter oder versuchen, sich zusammenzureißen. Doch Angst ist kein Zeichen von Schwäche – sie ist ein biologisches und psychologisches Warnsignal. Und sie verdient gerade in dieser sensiblen Lebensphase besondere Aufmerksamkeit.

Wenn die Kontrolle schwindet

Eine Schwangerschaft bedeutet für viele Frauen einen tiefgreifenden Kontrollverlust. Der eigene Körper funktioniert plötzlich anders, medizinische Abläufe bestimmen den Alltag, und vieles – vom Geburtstermin bis zur kindlichen Entwicklung – entzieht sich der eigenen Einflussnahme. Für Menschen mit einer Tendenz zu Perfektionismus, starkem Verantwortungsgefühl oder hoher Selbstanforderung kann das hoch belastend sein. Gedanken wie „Was, wenn ich etwas übersehe?“„Was, wenn ich dem Kind schade?“ oder „Was, wenn ich nicht gut genug bin?“ kreisen unaufhörlich.

Diese Form der Angst entsteht oft nicht plötzlich. Viele Frauen, die während der Schwangerschaft unter Ängsten leiden, haben bereits zuvor belastende Erfahrungen gemacht – etwa depressive Episoden, belastende Kindheitserlebnisse, traumatische medizinische Eingriffe oder Erfahrungen mit Kontrolle und Ohnmacht. Die Schwangerschaft reaktiviert dann nicht nur biologische Schutzsysteme – sondern auch unbewusste seelische Muster.

Ein Beispiel: Eine Frau mit einer Geschichte emotionaler Vernachlässigung beginnt in der Schwangerschaft unter massiven Kontrollängsten zu leiden. Sie liest stundenlang medizinische Fachartikel, vermeidet bestimmte Nahrungsmittel strikt und fühlt sich bei jedem kleinen Symptom in Alarmbereitschaft. Was auf den ersten Blick wie „übertriebene Vorsicht“ wirkt, ist in Wirklichkeit ein Versuch, die eigene Unsicherheit durch Wissen und Kontrolle zu kompensieren – und damit das Kind zu schützen.

Neurobiologisch hochaktiv – der schwangere Körper im Ausnahmezustand

Aus neurobiologischer Sicht ist die Schwangerschaft eine Phase intensiver Umstrukturierung im Gehirn. Vor allem das limbische System, das für emotionale Verarbeitung zuständig ist, zeigt erhöhte Aktivität. Die Amygdala, das „Gefahrenradar“ des Gehirns, ist sensibler – was evolutionsbiologisch sinnvoll ist: Die Mutter soll feinfühliger auf potenzielle Risiken reagieren. Doch bei erhöhter psychischer Vulnerabilität oder früheren Traumatisierungen führt genau diese Sensibilisierung zur Übererregung: Das Warnsystem schlägt zu häufig, zu intensiv, zu früh an.

Gleichzeitig sinkt die Verfügbarkeit bestimmter Neurotransmitter wie Serotonin und GABA, die beruhigend und stimmungsstabilisierend wirken. Der sinkende GABA-Spiegel gegen Ende der Schwangerschaft kann die Anfälligkeit für Angst und Schlafstörungen nochmals erhöhen. Auch die hormonellen Schwankungen – insbesondere von Östrogen und Progesteron – wirken sich auf die emotionale Regulation aus.

Das erklärt, warum viele Frauen in dieser Zeit besonders verletzlich für Angstzustände sind – selbst wenn sie zuvor psychisch stabil waren.

Wenn die Angst das Bonding überlagert

Angststörungen in der Schwangerschaft sind nicht nur eine Belastung für die werdende Mutter – sie können auch die Beziehung zum ungeborenen Kind beeinflussen. Frauen, die unter chronischer Anspannung leiden, finden oft nur schwer Zugang zu positiven Gefühlen gegenüber dem Kind. Sie erleben weniger Freude, weniger Vorfreude, weniger inneren Kontakt. Schuldgefühle und Selbstvorwürfe verstärken dann die Symptome.

Ein Beispiel: Eine Schwangere mit generalisierter Angststörung berichtet, dass sie „kaum Verbindung zum Baby“ spürt. Sie hat Angst, dass etwas schiefgeht – und hält sich innerlich zurück, „um nicht zu sehr enttäuscht zu werden“. Die Angst schützt – aber sie blockiert auch die emotionale Annäherung. Erst in einem therapeutischen Setting, in dem diese Angst verstanden und gewürdigt wird, gelingt es ihr, mit dem Kind in Kontakt zu kommen – durch Atmung, Berührung, durch inneres Zuhören.

Wie kann man mit Angst in der Schwangerschaft umgehen?

Angst ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn sie nicht verstanden, nicht geteilt, nicht reguliert werden kann. Wenn sie isoliert bleibt, still ertragen wird – aus Scham oder falsch verstandenem Verantwortungsgefühl. Die personzentrierte Sichtweise betont, dass Angst dann heilsam verarbeitet werden kann, wenn ein Raum entsteht, in dem sie angenommen und erlebt werden darf. In dem keine Rolle gespielt werden muss. In dem Unsicherheit da sein darf – ohne Kontrolle, ohne Erklärungspflicht.

Dieser Raum kann in der Psychotherapie entstehen, in der Hebammenbegleitung, in achtsamen Gesprächen mit vertrauten Menschen. Er entsteht dort, wo jemand zuhört, ohne zu relativieren. Wo gefragt wird: „Was macht dir Angst?“, und nicht: „Aber du freust dich doch bestimmt?“

Was hilft Frauen mit Angststörungen in der Schwangerschaft?

Zum Abschluss einige konkrete Möglichkeiten, wie betroffene Frauen mit ihrer Angst in der Schwangerschaft umgehen können:

  • Sprich deine Angst aus. Angst wird größer, wenn sie alleine bleibt. Suche Gespräche mit Hebammen, Ärzt:innen oder Therapeut:innen, denen du vertraust.
  • Hole dir professionelle Begleitung. Spezialisierte Psychotherapie oder psychologische Beratung während der Schwangerschaft kann sehr entlastend sein – und ist nicht erst bei schweren Symptomen sinnvoll.
  • Reduziere die Reizüberflutung. Begrenze gezielt den Medienkonsum, vor allem im Hinblick auf medizinische Informationen und Risikothemen.
  • Achtsamkeit hilft. Sanfte körperorientierte Methoden wie Atemarbeit, Meditation oder Schwangerenyoga stärken die Selbstwahrnehmung und beruhigen das autonome Nervensystem.
  • Beziehe dein Umfeld ein. Sag deinem Partner, deiner Familie, was du brauchst. Nicht Stärke ist heilsam – sondern Verbindung.
  • Nimm deine Gefühle ernst. Auch wenn du unsicher bist, traurig oder überfordert – das heißt nicht, dass du keine gute Mutter sein wirst. Im Gegenteil: Deine Selbstwahrnehmung ist deine Ressource.

Angst in der Schwangerschaft ist nicht ungewöhnlich – und kein Zeichen von persönlichem Versagen. Sie entsteht dort, wo ein neues Leben beginnt, aber alte Ängste nicht beachtet wurden. Sie zeigt sich dort, wo das Bedürfnis nach Sicherheit, Halt und Zugehörigkeit besonders groß ist.

Wer sich der Angst zuwendet, ihr Raum gibt, sie mit anderen teilt, kann lernen, sich selbst in dieser tiefgreifenden Lebensphase besser zu halten. Und genau daraus wächst oft jene innere Stärke, die es braucht – nicht nur für die Geburt, sondern für den gemeinsamen Weg mit dem Kind.

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