Eine Schwangerschaft ist für viele Frauen eine der intensivsten Phasen ihres Lebens. Sie ist geprägt von körperlichen Veränderungen, hormonellen Umstellungen, aber auch von tiefgreifenden psychischen Prozessen. Und obwohl das Bild der „glücklichen werdenden Mutter“ gesellschaftlich dominiert, erleben viele Frauen stattdessen eine andere Realität: innere Unruhe, Ängste, Schlafstörungen oder Gefühle von Überforderung.
Diese Belastungen sind keine Randerscheinungen – sie sind häufig, medizinisch relevant und behandelbar.
Wie häufig sind Angst und Stress in der Schwangerschaft?
Etwa 15–25 % aller Schwangeren leiden unter klinisch relevanten Ängsten, etwa 10–15 % entwickeln depressive Symptome. Besonders belastend wirken sich Angststörungen aus, die schon vor der Schwangerschaft bestanden – aber auch neue, schwangerschaftsbezogene Ängste können auftreten.
Häufige Themen sind:
- Angst vor der Geburt (Tokophobie)
- Angst, das Kind zu verlieren
- Angst, „nicht gut genug“ als Mutter zu sein
- Angst vor Komplikationen und Kontrollverlust
- Angst um die Partnerschaft oder finanzielle Zukunft
Beispiel:
Eine 34-jährige Erstgebärende berichtet in der 28. Schwangerschaftswoche über zunehmende Panikattacken, insbesondere nachts. Sie googelt stundenlang nach seltenen Fehlbildungen und befürchtet, etwas übersehen zu haben. Ihre Gynäkologin hat ihr bescheinigt, dass alles „in Ordnung“ sei – doch sie kann sich nicht beruhigen.
Was passiert im Körper bei Angst und Stress?
Während der Schwangerschaft ist das gesamte neuroendokrine System hochsensibel. Die Stressverarbeitung wird durch die hormonellen Veränderungen verändert, die HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse)ist besonders aktiv. Bei starker und anhaltender Stressbelastung werden vermehrt Cortisol, Adrenalin und Noradrenalinausgeschüttet, was sich nicht nur auf die Mutter, sondern auch auf den Fötus auswirkt.
Langfristig kann chronischer Stress in der Schwangerschaft folgende Auswirkungen haben:
- Erhöhtes Risiko für Frühgeburt
- Wachstumsverzögerungen beim Kind
- Höheres Risiko für Kaiserschnitt
- Auffällige Stressverarbeitung beim Kind in den ersten Lebensjahren (z. B. Regulationsstörungen, erhöhte Erregbarkeit)
Diese Zusammenhänge bedeuten jedoch nicht, dass jede stressige Phase dem Kind schadet. Entscheidend ist die Dauer, Intensität und Bewältigungsfähigkeit. Akuter Stress ist nicht per se schädlich – aber chronische, unbehandelte psychische Belastung kann sich negativ auswirken.
Warum wird das Thema oft nicht angesprochen?
Viele Frauen schämen sich, über ihre Ängste zu sprechen – gerade, wenn „alle anderen sich doch freuen“. Sie fürchten, nicht „gut genug“ zu sein, sich zu sehr anzustellen oder als instabil zu gelten. Nicht selten erleben sie sich selbst als irrational, obwohl ihre Symptome sehr real sind.
Auch im medizinischen System werden psychische Symptome in der Schwangerschaft oft nicht systematisch erfasst, obwohl es klare Empfehlungen zur psychosozialen Anamnese gibt (z. B. durch den EPDS-Fragebogen bei Verdacht auf Depressionen).
Welche Formen der Angst treten besonders häufig auf?
- Generalisiertes Grübeln: „Was, wenn mit dem Kind etwas nicht stimmt?“ – oft begleitet von stundenlangem Nachlesen im Internet
- Panikattacken: Besonders nachts oder bei Kontrollverlust (z. B. bei Untersuchungen)
- Zwangsgedanken: z. B. erschreckende Vorstellungen, dem Kind zu schaden – meist sehr quälend, aber nie mit tatsächlicher Handlung verbunden
- Traumabedingte Reaktivierung: Frühere Geburtserlebnisse, Missbrauch oder medizinische Eingriffe können in der Schwangerschaft wieder präsenter werden
Beispiel:
Eine 29-jährige Frau mit vorangegangener Fehlgeburt fühlt sich in der neuen Schwangerschaft wie „gelähmt vor Angst“. Jedes Ziehen im Bauch wird als mögliches Frühzeichen einer Komplikation gedeutet. Ihr Mann versteht ihre Sorge nicht – sie fühlt sich zunehmend isoliert.
Was kann helfen?
Psychotherapeutische Unterstützung
Eine psychotherapeutische Begleitung kann in der Schwangerschaft sehr entlastend wirken – insbesondere, wenn sie niederschwellig, empathisch und transparent gestaltet ist. In der personzentrierten Arbeit steht nicht die „Diagnose“, sondern die innere Erlebniswelt der Frau im Mittelpunkt.
Mögliche Inhalte der Therapie:
- Gefühle benennen und sortieren
- Umgang mit belastenden Gedanken
- Aufbau eines liebevollen inneren Dialogs
- Ressourcenaktivierung (Was gibt Kraft? Was war hilfreich in der Vergangenheit?)
- Bearbeitung traumatischer Vorerfahrungen
Körperliche Selbstregulation
- Atemübungen (z. B. 4-4-8 oder verlängertes Ausatmen)
- Progressive Muskelentspannung (in angepasster Form)
- Leichte Bewegung (z. B. Schwimmen, Yoga für Schwangere)
- Körperreisen und Imaginationsübungen mit Fokus auf Sicherheit und Verbindung zum Kind
Soziale Unterstützung
- Gespräche mit vertrauten Menschen (ohne Bewertung)
- Teilnahme an Austauschgruppen für Schwangere
- Partnerschaftsgespräche mit Fokus auf Rollen, Ängste, Wünsche
- Einbindung der Hebamme auch für psychosoziale Themen
Medikamentöse Therapie?
In bestimmten Fällen kann auch eine medikamentöse Begleitung sinnvoll sein – etwa bei schweren Angststörungen oder begleitenden depressiven Episoden. Die Entscheidung erfolgt individuell, risikoabwägend und interdisziplinär(Gynäkologie, Psychiatrie, ggf. Neonatologie). SSRI wie Sertralin gelten bei Bedarf als Mittel erster Wahl mit vergleichsweise guter Studienlage zur fetalen Sicherheit.
Fazit
Angst und Stress in der Schwangerschaft sind keine Ausnahme – sie sind Ausdruck einer tiefgreifenden inneren Umstellung, die Begleitung verdient. Je früher Frauen die Möglichkeit erhalten, über ihre Gefühle zu sprechen und diese ernst genommen werden, desto besser lassen sich Überforderung, Isolation und Folgeprobleme verhindern.
Wenn Sie schwanger sind und merken, dass Sorgen Ihren Alltag dominieren:
Sie sind nicht allein. Und Sie dürfen Hilfe annehmen.